Zusammenfassung eines Vortrags auf der Frühjahrstagung des Arbeitskreises NS-„Euthanasie“ im Juni 2022. Außerdem: Eine ausführliche Liste mit Links, Büchern und Artikeln zum Thema „‘Euthanasie‘ im Nationalsozialismus“ zum Download. Ein Beitrag von Inga Guttzeit. Initiiert von der Gründerfamilie Landerer wurden Daniel Hildwein, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Historiker in Grafeneck, und Thomas Stöckle, Leiter der Gedenkstätte Grafeneck, damit beauftragt, den Verbleib von 293 deportierten Patient*innen aus dem Christophsbad in Göppingen wissenschaftlich aufzuarbeiten. Ihr Ergebnis stellten beide im Rahmen der Frühjahrstagung 2022 des Arbeitskreises zur Erforschung der NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation in Hamburg vor. Herausgekommen ist dabei das von der Stadt Göppingen herausgegebene Buch „Die „Aktion T4“ und die Heilanstalt Christophsbad in Göppingen – Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ in den Jahren 1940/41“. Thomas Stöckle (2016). „Die „Aktion T4“ und die Heilanstalt Christophsbad in Göppingen – Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ in den Jahren 1940/41“. (2. durchgesehene und erweiterte Auflage). Göppingen: Jüdisches Museum Göppingen. Das Klinikum Christophsbad Göppingen war eine Privatklinik, die 1852 gegründet wurde. Es trug den Namen „Christophs-Bad Göppingen, Heil- und Pfleganstalt für Gemüths- und Geisteskranke“. Der Auftrag war dahingehend formuliert, die Schicksale von 293 Patient*innen, mehrheitlich „Staatspfleglinge“, die 1940/41 in „andere Anstalten verlegt“ worden waren, zu klären. Von 292 konnten die Lebensschicksale aufgeklärt werden, daraus entstanden sind biografische Einträge, sogenannte Biogramme, die im Buch veröffentlicht wurden. Fotos von 180 Opfern der „Aktion T4“ sind erhalten geblieben. Von den in andere Anstalten verlegten Opfern, die dort starben, sind keine Fotos vorhanden; sie konnten somit nicht in die Biogramme einfließen. Von 180 Opfern der „Aktion T4“ sind 49 Menschen in den Anstalten zwischen 1940 und 1945 verstorben, 61 haben die NS-„Euthanasie“ überlebt. Drei weitere Schicksale sind ungeklärt. Das Besondere am Christophsbad ist, dass sie als einzige Privatklinik in Baden-Württemberg aus der NS-Zeit erhalten blieb. Der Zwangssterilisation wurde zugestimmt und sie wurde durchgeführt. Der Oberarzt Dr. Karl John war zugleich Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP-Kreisleitung Göppingen. Von 500 Patient*innen wurden 293 in den Jahren 1940/41 im Rahmen der „Aktion T4“ „verlegt“. Jedoch ist nicht belegbar, dass direkte Deportationen in Tötungsanstalten stattgefunden haben. Die Rassenhygiene wurde akzeptiert. Zunächst wurden die Meldebögen für die T4-Gutachter bis Sommer 1940 nicht bearbeitet, die ärztliche Leitung verhandelte mit dem württembergischen Finanz- und Innenministerium und der Versuch, Sammelverlegungen zu verhindern und zu verzögern war teilweise erfolgreich. Die oben genannten Ministerien einigten sich mit dem Christophsbad darauf, dass nicht alle „Staatspfleglinge“ abgeben werden mussten und dass sie mitbestimmen durften, wer verlegt werden soll. 1943/1944 wurden 50 weitere Patient*innen nach Zwiefalten abgegeben. Die Auswirkungen: Nach der „Euthanasie“ konnte sich die Heil- und Pflegeanstalt in ein modernes multifunktionales Klinikum und Gesundheitszentrum weiterentwickeln. Die Patient*innen wurden von April bis Oktober 1940 nach Weinsberg und Winnenden verlegt. Im März 1941 gab es einen weiteren Transport nach Weinsberg. Jedoch waren im letzten Transport, im Gegensatz zu 1940, auch „Privatpfleglinge“ aus Schwäbisch Hall aus dem Gottlob-Weißer-Haus, die zuvor ins Christophsbad verlegt worden waren, dabei. Von 180 Menschen wurden 156 in den letzten beiden Monaten des Jahres 1940 nach Grafeneck gebracht, 140 wurden dort ermordet. Acht Patienten wurden zurückgestellt und von der Ermordung ausgenommen. In Hadamar sind zwei Patienten zurückgestellt worden. Es wurden insgesamt 170 ermordet, zehn überlebten. Es gab eine Überlebende unter den 61, die nachweislich ins Christophsbad zurückkehrte und längere Zeit nach dem Krieg im Krankenhaus verstorben ist. Die meisten blieben über den Krieg hinaus in den ehemaligen „Zwischenanstalten“, bis sie dort starben, entlassen oder in eine andere Einrichtung verlegt wurden. Es wurde nur so weit geforscht, bis ein Nachweis erbracht wurde, dass sie nicht während des Krieges ermordet wurden. Es ist möglich, dass es Patient*innen gab, die später nach dem Krieg zurückgekehrt sind. Die Krankenakten, die im Christophsbad gefunden wurden, standen nicht für die weitere Forschung zur Verfügung. Sie sollten gar seitens des Christophsbad vernichtet werden. Dank der Intervention der beiden Autoren wurde dies zum Glück verhindert. Teilweise geschah dieser Umgang mit den Akten aus Unsicherheit und Unkenntnis der rechtlichen Situation. Diese ist aber seit 2014 eindeutig geklärt. So heißt es in einer Presseerklärung des Bundesarchivs vom 30.08.2018:
Die rechtliche Situation wurde geklärt, eine Beratung beim Staatsarchiv wurde wahrgenommen, und dies führte schließlich zur Übergabe der Patient*innenakten an das Staatsarchiv Ludwigsburg. Beiden Historikern ist es zu verdanken, dass diese wichtigen Akten durch sensible Gespräche erhalten geblieben sind und archiviert werden. Aufgrund all dieser Erkenntnisse wurde der Gedenkort in Göppingen erweitert, ein Gedenkbuch erstellt und das Buch veröffentlicht. Eine ausführliche Liste mit Links, Büchern und Artikeln zum Thema „Euthanasie“ im Nationalsozialismus kann in der Roland-Datenbank als pdf-Dokument heruntergeladen werden.
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